Heute möchte Dr. Jürgen Martin mit mir über ein brandneues Instrument für Präsentationen sprechen. Er
würde gerne seinen Vorstand darauf einschwören und ihn interessiert meine Meinung. Er kann sich noch
gut daran erinnern, wie ich immer wieder über Powerpoint-Präsentationen gelästert habe, über ihre
Einfallslosigkeit, über die Oberflächlichkeit, die von denen, denen das bewußt ist, mit vollgepackten
Charts erwidert wird, die sicherlich weniger oberflächlich sein mögen, aber eher wie Beipackzettel in
Punktgröße 3 anmuten, vollgepackt mit Daten und Fakten, daß sie ein exzellentes Schlafmittel ersetzen.
Und zwar effektiv, denn ich konnte nicht wenige Nickerchen von Vorstandsmitgliedern während dieser
Art von Präsentationen beobachten. An sich wären Schläfchen bei manchen nervigen Sitzungen gar nicht
so schlecht, wenn ein Vorstand nicht für seine Entscheidungen haften müßte. Und manche
Entscheidungen könnten ja auf der Basis von 57 kleinstgedruckten Charts plus einem Anhang von
weiteren 158 unlesbaren Slides („müssen Sie nicht lesen, liebe Kollegen…“) beruhen, bei denen die Hälfte
des Vorstandes diskret weggeschlummert ist.
Entsprechend bin ich auf das brandneue Instrument gespannt und bitte, mich doch auf den letzten Stand
der Dinge zu bringen. Er senkt die Stimme, denn schließlich ist er dabei, mir einen echten Insidertip zu
geben. Er war beim jährlichen Meeting der Recklinghauser Managerdialoge, ein Format, das seit
Jahrzehnten die zukünftigen Eliten der Deutschland AG in ein Netzwerk des Lernens und des Peer-
Austausches verbindet. Dort sei ihm das gesteckt worden. Es handle sich also bei dem neuen Instrument
um sogenannte Narrative Memos. Eines der größten US-Unternehmen, Alkibia, nenne sie white papers.
Hm, interessant. Und was sind solche narrativen Memos? Jürgen Martin holt aus und beschreibt diese
bombastische Innovation. Es sind Texte, ohne Powerpoint slides, Texte, naja mit Subjekt Prädikat und
Objekt und so, die in ca. fünf Seiten ein Problem darstellen, Lösungsansätze und
Entscheidungsempfehlungen geben.
Ich stutze. Und krame in meiner Aktentasche, wo ich seit Jahren eine Notiz aus den frühen Neunziger
Jahren mit mir herumtrage, in der ich dem Vorstand meines damaligen Arbeitgebers eine Empfehlung für
Kommunikationskurse als Pflichtmodule für jeden Manager des Konzerns vorschlug, eine für mich
wichtige Weichenstellung. Da ist sie, in Klarsichthülle, natürlich. Ich gebe sie ihm, er liest und sagt:
“Genau! Das ist ja ein white paper!“ Ich räuspere mich und weise dezent auf das Datum hin, 1993. Dr.
Martin ist geplättet. Das war in der Vorchristlichen, ähm, vor-powerpointigen Zeit, bemerkt er. Was ich
denn für ein Prophet sei, sagt er, mit unverhohlener Bewunderung.
Nein, ich habe nicht die Energie, zu einer Invektive auszuholen über Wein in neuen Schläuchen, über
geschicktes Packaging von jahrhundertealten Selbstverständlichkeiten. Es erinnert mich zu sehr an
„Aktives Zuhören für Dummies“, wo das Axiom von Zeno von Elea (salopp, wir haben zwei Ohren und nur
einen Mund, auf daß wir doppelt so viel zuhören wie sprechen) als geschickte Technik, als dernier cri, als
letzter Schrei verpackt wird. Zeno von Elea ist 430 vor Christus gestorben. Und ich denke an Karl Kraus,
der über die Österreicher schrieb, sie schauten hoffnungsvoll in die Vergangenheit. Heute, lieber Dr.
Martin, kommt mir auch diese Hoffnung abhanden und ich ziehe gebeugten Hauptes von dannen.
Aus dem PR Report
Die Kolumne „Auf der Couch des Coaches“