Dr. Jürgen Martin möchte heute über die Veränderungen im Unternehmen sprechen, verordnet durch seinen Strategieplan „Fit for future“. Habe ich ein Déjà Vu oder kann es sein, dass ich schon von einem halben Dutzend Change-Projekten mit demselben Namen gehört habe? Egal. Martins Vorhaben ist originell: Digitalisierung des Geschäfts, Beschleunigung des Go-to-markets, mehr Agilität, einfachere Prozesse und Produkte, Selbststeuerung der Belegschaft. Unternehmerisch denken! Ich bin beeindruckt. Er hat fast alles untergebracht, was man seit einigen Jahren überall rauf und runter predigt. Offenbar, weil es das Gebot der Stunde ist. So far so good.
Was Martin beschäftigt, ist, dass im jüngsten Engagement Survey Kritik an der Kommunikation der Firma deutlich wurde. Dabei hat er noch nie so viel Zeit für Kommunikation aufgebracht wie zuletzt. Zudem ärgert ihn, dass die Kritik eine seiner Leistungsträgerinnen trifft: PR-Chefin Sabine Teppichroth. Interessant. Ob er mir Beispiele geben könne für sein Zeitinvestment in Kommunikation? Seine Antwort: Ständig Posts auf Social Media, Fototermine für Instagram-Stories, Mitarbeiterbriefe, AMA-Sessions, Interviews mit Teppichroth zum Change-Prozess, von den Betriebsversammlungen ganz zu schweigen …
Hhm, was er denn aus all diesen Gelegenheiten gemacht habe, frage ich. Nun ist er verdutzt. Dann schießt er mit einer Gegenfrage los: Nicht er solle damit was anfangen, sondern die Belegschaft. Aha, also geht es nicht um Kommunikation, sondern um Information. Denn wenn er nicht zuhört und das Gehörte nicht in die operative Führung und den Change-Prozess einbaut, hat er auch nicht kommuniziert. Demnach kritisieren die Befragten das doch zurecht. Sie fühlen sich mit ihren Vorschlägen oder Ängsten nicht gehört, ernst genommen und eingebunden.
Lustig auch, dass er Frau Teppichroth für die Ergebnisse verantwortlich macht, meine ich. Was denn daran lustig sei, fragt Martin. Naja, es hört sich so an, als ob die Kommunikation im Unternehmen Sache der PR-Leute sei. Die gesamte Führung könne also kommunikationsunfähig sein, denn den Part übernehme ja Corporate Communications.
Lehren eines Familienurlaubs
So habe er es nicht gemeint, wehrt Martin ab. Dann weitet unser Austausch sich aus. Er arbeitet heraus, dass nicht nur gut informierte, sondern auch beteiligte Stakeholder engagierter sind. Noch mehr wenn in sie investiert wird, sie die Strategie verstehen, mitgestalten. Und schließlich vom Top-Team ermächtigt werden, selbst mehr und öfter zu entscheiden, auch wenn mal Fehler passieren.
Er geht ab wie ein TGV. Ihm war nämlich eingefallen, dass seine damals pubertierenden Töchter ihm 2011 einen wunderbaren Sommer beschert hatten. Nach vielen gemeinsamen Ferien mit langen Schnuten, in denen sie 24 Stunden lang über krasse Langeweile klagten. Den Urlaub vor zehn Jahren hatten sich die Töchter überlegt, mit seiner Frau abgesprochen und dann gänzlich selber organisiert (obwohl er doch viel lieber, wie jedes Jahr, auf die Hütte im Allgäu gefahren wäre). Das war’s! Die Kinder haben sich den Familienurlaub zu eigen gemacht und … der Engagement Index war hoch!
Er zwinkert mir zu, packt seine Sachen und geht zufrieden von dannen. Der Change-Prozess dürfte von seinen Einsichten (und seinen Töchtern) profitieren.
Aus dem PR Report
Die Kolumne „Auf der Couch des Coaches“